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Aus: Ausgabe vom 26.07.2025, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Kaliningrad schneller erobern

Von Arnold Schölzel
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Am 16. und 17. Juli fand in Wiesbaden unter dem Titel »Transformation im Kontakt: Integration von Industrie, US-Armee und Verbündeten für globale Abschreckung« die Konferenz »Landeuro« statt. Veranstalter war die US-Armee-Organisation Association of the United States Army (AUSA). Gesprochen wurde zum Beispiel auf einer Podiumsdiskussion über »Der nächste Weltkrieg – Die vernetzte globale Bedrohung«. Man hatte die Welt im Blick. So auch US-General Christopher Donahue, seit Dezember 2024 Kommandeur der United States Army Europe and Africa mit Sitz in der hessischen Landeshauptstadt. Er ging in seinen einleitenden Bemerkungen zur Konferenz auf das NATO-Konzept »Eastern Flank Deterrence Line«, also »Ostflanken-Abschreckungslinie«, ein. Dabei geht es laut dem auf dem Portal augengeradeaus.de am 19. Juli veröffentlichten Transkript seiner Rede um die Fähigkeit, alle regionalen Pläne, also vor allem die der baltischen Staaten, zusammenzufassen: Datennutzung, Anwendung »neuer Formen von Massenvernichtung« und Antwort auf die Fragen: »Wie setzt man sie im Nahen Osten ein? Wie setzt man sie im Pazifik ein?« Der Mann sieht die baltischen Länder als Weltkriegslabor mit sich an der Spitze.

Fast nebenbei teilte der General mit, dass das Problem Kaliningrad erledigt sei. Das russische Gebiet zwischen Ostsee, Polen und Litauen ist etwa 15.125 Qua­dratkilometer groß und militärisch gesehen ein übler Stolperstein auf dem NATO-Weg nach Osten. Aber nicht mehr: »Unser Anwendungsfall ist, dass wir vom Boden aus agieren müssen. Wenn man sich die aktuelle Entwicklung weltweit ansieht, verliert der Landbereich nicht an Bedeutung, sondern wird sogar wichtiger. Man kann jetzt Abwehr- und Angriffsraketenblasen (A2/AD) vom Boden aus zerstören. Man kann jetzt die Seemacht vom Boden aus übernehmen. All diese Dinge, die wir in der Ukraine beobachten, sind für uns genauso wichtig. Wie integrieren wir das in die regionalen Pläne, in die Abschreckungslinie an der Ostflanke? Betrachten wir Kaliningrad. Es ist, wie man darüber diskutieren kann, etwa 75 Kilometer breit und von allen Seiten von der NATO umgeben. Es gibt absolut keinen Grund, warum wir die A2/AD-Blase nicht – um Russland abzuschrecken – in einem beispiellosen Zeitrahmen und schneller zum Platzen bringen können, als uns dies jemals möglich war. Wir haben das bereits geplant und entwickelt. Das Massen- und Impulsproblem, das Russland für uns darstellt – ein Problem, das auch überall sonst auf der Welt auftreten könnte –, haben wir entwickelt. Wir haben die Fähigkeit entwickelt, dieses Massen- und Impulsproblem zu lösen. Wir benötigen Kapazitäten im Umfang von etwa 22 Divisionen. Und natürlich müssen wir alle sicherstellen, dass wir über offensive Fähigkeiten verfügen – wahrscheinlich das Schwierigste.« Es kann losgehen.

Ein Echo auf Donahues Rede in der deutschen veröffentlichten Meinung fiel fast aus. FAZ, Süddeutsche Zeitung oder Nachrichtenagenturen schwiegen. NTV und einige Regionalzeitungen berichteten ungefähr so wie ein des Lesens unkundiger Autor des Nachrichtenportals T-Online, der am 19. Juli phantasierte: »US-General Chris Donahue hat Russland davor gewarnt, von der Enklave Kaliningrad aus Nachbarländer anzugreifen.«

Donahue kennt sich übrigens mit verlorenen Kriegen aus. Er verließ am 30. August 2021 als letzter US-Soldat nach fast 20 Jahren völkerrechtswidrigem Angriffskrieg von USA und NATO in Afghanistan Kabul. Donald Trump nannte die Operation eine Schande für die USA und wollte die Beteiligten noch im November 2024 vor Gericht stellen. Am 2. Dezember 2024 wurde Donahue aber mit den Stimmen der Trump-Anhänger im US-Senat befördert. Hat er sich nun endgültig verdient.

NTV und einige Regionalzeitungen berichteten ungefähr so wie ein des Lesens unkundiger Autor des Nachrichtenportals T-Online, der am 19. Juli phantasierte: »US-General Chris Donahue hat Russland davor gewarnt, von der Enklave Kaliningrad aus Nachbarländer anzugreifen.«

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  • Leserbrief von René Osselmann aus Magdeburg (28. Juli 2025 um 10:59 Uhr)
    Der Traum, einen Sieg gegen Russland zu erzielen, scheint in der westlichen Welt weit verankert, und so träumen diese Wahnsinnigen tatsächlich, Kaliningrad einnehmen zu können, ohne dass Russland eventuell Widerstand leisten könnte! Ist das Größenwahn oder Selbstüberschätzung, dass Russland es einfach so hinnehmen würde? Ich möchte schon fast mit Sicherheit behaupten, dass die NATO von einem Endsieg träumt, und das koste es, was es wolle … Wie kann man diese Wahnsinnigen eigentlich noch stoppen?

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